An der Harvard Business School fand kürzlich eine aufschlussreiche Diskussion zum Thema “Can AI Solve the Global Mental Health Crisis?” statt. Experten verschiedener Disziplinen erörterten die potenziellen Möglichkeiten und Risiken, die der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der psychischen Gesundheitsversorgung mit sich bringt.
Chancen der Künstlichen Intelligenz in der psychischen Gesundheitsversorgung
Prof. Amit Golden, der Gastgeber der Veranstaltung und Leiter des Digital Emotions Lab, verdeutlichte die Dimension des Problems: Weltweit nehmen Stress und Burnout bei Arbeitnehmern zu, was nicht nur die individuelle Lebensqualität beeinträchtigt, sondern auch enorme wirtschaftliche Kosten verursacht. Eine Studie seines Labors zeigt, dass in den letzten 20 Jahren die Stress- und Sorgelevel von Arbeitnehmern signifikant gestiegen sind. KI könnte hier eine vielversprechende Lösung bieten, indem sie sowohl direkt mit Betroffenen interagiert als auch Fachkräfte unterstützt.
Assaf God von Intuition Robotics stellte “ElliQ” vor, einen KI-gestützten Roboter, der älteren Menschen als sozialer Begleiter dient. Ein Beispiel aus der Praxis zeigt, dass ElliQ proaktiv Kontakte zu Familienmitgliedern erleichtert und sogar an Geburtstage erinnert, was die Isolation der Nutzer verringert. ElliQ hilft, die Isolation zu verringern, indem er proaktiv Interaktionen initiiert und damit das Wohlbefinden seiner Nutzer fördert. Die Tatsache, dass die Benutzer wissen, dass ElliQ keine echte Person ist, scheint die Wirkung des Roboters sogar zu verbessern, da die Erwartungen an eine rein digitale Interaktion realistisch gesetzt werden.
Eric Davich von Jammy präsentierte einen KI-gesteuerten Musikcoach, der emotionale Zustände analysiert und passende Musik vorschlägt, um die Stimmung zu verbessern. In ersten Tests berichteten Benutzer, dass ihre Stimmung nach einer Musikempfehlungssession signifikant verbessert war. Besonders junge Menschen, die oft hohe Erwartungen an Technologie haben, könnten von solchen Anwendungen profitieren, da sie niederschwellig und jederzeit verfügbar sind.
Risiken und Herausforderungen
Ein zentrales Thema der Diskussion war die Akzeptanz von KI als Ersatz für menschliche Interaktionen. Julian De Freitas, Professor für Marketing und Experte für Mensch-KI-Interaktionen, wies darauf hin, dass die Wirkung von KI stark abnimmt, sobald Nutzer erfahren, dass sie mit einer Maschine und nicht mit einem Menschen kommunizieren. Eine Studie seines Teams zeigte, dass 45% der Teilnehmer lieber zwei Jahre auf einen menschlichen Therapeuten warten würden, als sofortige Hilfe von einer KI zu erhalten. Dies deutet darauf hin, dass grundlegende menschliche Bedürfnisse nach authentischer Empathie und echter zwischenmenschlicher Verbindung nicht einfach durch Technologie ersetzt werden können.
Rob Morris von Coco, einer Peer-to-Peer-Support-Plattform, betonte zudem die Gefahr der Missnutzung von KI. Besonders in unregulierten Bereichen könnten KI-Systeme von böswilligen Akteuren eingesetzt werden, um beispielsweise psychisch labile Personen zu manipulieren oder auszunutzen. Ein Beispiel aus der Praxis zeigt, dass bösartige KI-Systeme bereits jetzt eingesetzt werden, um gefälschte therapeutische Ratschläge zu geben, die in Wirklichkeit darauf abzielen, teure Nahrungsergänzungsmittel zu verkaufen. Der Schutz der Privatsphäre und die Sicherstellung ethischer Standards bei der Datenverarbeitung sind hierbei von größter Bedeutung.
Akzeptanz bei Psychologen
Während KI in vielen Bereichen der psychischen Gesundheitsversorgung als vielversprechend angesehen wird, ist die Akzeptanz unter Psychologen geteilt. Eine Studie zeigt, dass 55% der befragten Psychologen erhebliche Vorbehalte gegenüber dem Einsatz von KI in ihrer Praxis haben. Nur 25% nutzen bereits KI-Tools, und weitere 19% ziehen dies in Betracht. Die Hauptbedenken beziehen sich auf die potenziellen Fehlinterpretationen von Daten und die mangelnde Empathie der Maschinen. Über zwei Drittel der Psychologen befürchten, dass KI-Daten falsch interpretieren und zu ungenauen Diagnosen oder therapeutischen Fehlern führen könnten.
Schlechte Digitalisierung und Vorbehalte von Psychologen
Ein weiterer wesentlicher Vorbehalt betrifft die Möglichkeit von Vorurteilen in KI-Systemen. Nur 6% der befragten Psychologen vertrauen darauf, dass KI frei von Vorurteilen ist. Dieses Misstrauen erstreckt sich auch auf die bestehenden Richtlinien zur Verhinderung von Bias, wobei 80% der Psychologen angeben, nicht genügend über diese Richtlinien zu wissen, um deren Wirksamkeit beurteilen zu können. Trotz dieser Bedenken erkennen viele Psychologen das Potenzial von KI an, insbesondere im Bereich der Datenanalyse und der Unterstützung administrativer Aufgaben. Doch die Integration von KI in die Praxis muss ethisch und verantwortungsvoll erfolgen, um den professionellen Kodex nicht zu verletzen.
Zukunftserwartungen
Die Panelisten waren sich einig, dass KI ein wertvolles Werkzeug sein kann, um die psychische Gesundheitsversorgung zu ergänzen und zu verbessern. In einem Experiment von Goldens Lab konnte gezeigt werden, dass KI-Systeme in 85% der Fälle bessere emotionale Unterstützung bieten als durchschnittlich ausgebildete menschliche Helfer. Die Technologie bietet enorme Chancen, insbesondere in der Unterstützung von Fachkräften und der Bereitstellung von niederschwelligen Angeboten für Betroffene. Allerdings müssen klare ethische Richtlinien und strenge Datenschutzmaßnahmen implementiert werden, um Missbrauch zu verhindern und das Vertrauen der Nutzer zu gewinnen.
Zukünftig könnte die Akzeptanz von KI in der psychischen Gesundheitsversorgung steigen, besonders wenn jüngere Generationen, die mit Technologie aufgewachsen sind, offenere Einstellungen gegenüber digitalen Helfern entwickeln. Ein Beispiel dafür ist die zunehmende Nutzung von Chatbots und digitalen Assistenten in der Jugend, die bereits heute in vielen Lebensbereichen akzeptiert sind. Die Entwicklung empathischerer und personalisierterer KI-Systeme könnte zudem dazu beitragen, die Lücke zwischen menschlicher und maschineller Unterstützung weiter zu schließen.
Insgesamt zeigt die Diskussion, dass KI das Potenzial hat, im Bereich Psychologie signifikant zu unterstützen, wenn sie verantwortungsvoll eingesetzt wird. Die Balance zwischen technologischen Möglichkeiten und menschlichen Bedürfnissen wird dabei entscheidend sein.
Quelle für diesen Artikel: https://www.youtube.com/watch?v=M67u5wGoDrc
Zusammenfassung: Jonas Lünendonk & ChatGPT