Transformation oder Revolution? – Die Digitalisierung der Wissensarbeit durch KI

Im letzten Jahrzehnt hat die digitale Transformation zahlreiche Branchen und Industrien stark verändert. Im Dienstleistungssektor und hier zum Beispiel in Managementberatung, Rechtsberatung oder Marketingberatung waren die Veränderungen durch die Digitalisierung auch spürbar, aber nicht revolutionär. Natürlich ist die Digitalisierung nicht spurlos an der Wissensarbeit vorbeigegangen, aber die eigentliche Erstellung von wissensintensiven Dienstleistungen – und hier insbesondere bei wertschöpfenden Prozessen – hat noch keine signifikanten Dimensionen angenommen – bis jetzt!

Künstliche Intelligenz ist die Dampfmaschine für den tertiären Sektor

Die wachsende Integration Künstlicher Intelligenz (KI) in den tertiären Sektor, insbesondere in der Wissensarbeit, markiert jedoch einen fundamentalen Wandel, der nicht länger als Zukunftsmusik abgetan werden kann. Die nun beginnende technologische Transformation der Wissensarbeit durch KI verändert nicht nur die Aufgabenverteilung, sondern die Art und Weise wie Dienstleistungen erbracht werden. Künstliche Intelligenz wird die Struktur und Dynamik des Dienstleistungssektors tiefgreifend beeinflussen: transaktionale Tätigkeiten übernimmt KI und gleichzeitig wird die Bedeutung von Experten- und Fachwissen neu.

Zwar erstellen Anwälte ihre Schreiben immer noch selbst, Softwareentwickler schreiben Code und Berater analysieren Daten und führen Interviews durch. Diese Prozesse folgen zwar mehr oder weniger klar definierten Regeln und Schritten, ließen sich aber in der Vergangenheit nur schwer automatisieren. Mit GenAI stehen wir nun vor einem Paradigmenwechsel bei der Erbringung von Wissensarbeit, und damit vor der Transformation zahlreicher Dienstleistungsunternehmen. Eine Untersuchung des Internationalen Währungsfonds besagt, dass künftig rund 60 Prozent der Arbeitsplätze in entwickelten Volkswirtschaften durch KI betroffen sein werden. Das führt nicht zwangsläufig zum Verlust des Arbeitsplatzes, bedeutet aber deutliche Veränderungen in den Berufen und hier besonders im Bereich der Wissensarbeit.

Stellen wir uns nun vor, dass jeder Büro- oder Wissensarbeiter einen oder mehrere persönliche Assistenten erhält, die ihn gezielt mit kreativen Vorschlägen, Analysen, Wissen und Know-how aus unterschiedlichen Fachbereichen (z.B. Marketing, Design, Content, Code, Innovation) versorgen. Durch dieses Augmentieren der Mitarbeiter fügen wir ihnen Wissens- und Handlungsintelligenz hinzu und damit steigt ihr Leistungsspektrum!

Von imperativer zur deklarativen Arbeitsweise

Bei der Erstellung von wissensintensiven Dienstleistungen handelt es sich oftmals um imperative Arbeiten. Was bedeutet das? Zur Bearbeitung der Aufgaben sind bestimmte Prozessschritte sequenziell abzuarbeiten, so zum Beispiel die Erstellung eines Softwareprodukts, einer Website, eines administrativen Prozesses oder einer bestimmten Beratungsleistung. Der ausgebildete Mitarbeiter kennt die Schritte und nutzt spezifische erlernte Vorgehensweisen und Software-Werkzeuge, um iterativ ein Arbeitsergebnis zu erstellen.

Imperative Arbeiten lassen sich kurz so beschreiben: „Know, how to do the things right“. Durch GenAI wird diese Fähigkeit jedoch an Bedeutung verlieren, da es weniger darum gehen wird, wie etwas erstellt wird – denn das übernimmt der KI-Assistent, sondern darum, das gewünschte Ergebnis oder den Zustand möglichst exakt zu beschreiben, ohne die genaue Aktion oder Prozessschritte im Detail spezifizieren zu müssen. Deklaratives Arbeiten wird damit massiv an Bedeutung gewinnen. Für deklaratives Arbeit hier ein Beispiel:

Ein intelligenter Assistent ermöglicht es Mitarbeitern, Aufgaben zu erfüllen, die früher spezielles Fachwissen erforderten. Ein Mitarbeiter, der beispielsweise ein Logo designed oder ein Bild bearbeitet, benötigt zukünftig nicht mehr zwingend spezifische Kenntnisse in Adobe Photoshop oder bestimmten Design-Prinzipien. Es reicht, die gewünschten Parameter wie Farben, Schriftarten und Stil anzugeben. Die KI generiert daraufhin zahlreiche Vorschläge, die der Mitarbeiter weiter nutzen kann. Dies führt zu einer erheblichen Beschleunigung kreativer und innovativer Prozesse und erhöht die Effizienz.

Der Mensch deklariert (mittels Prompt) also nur noch das Ergebnis und der Assistent versucht, dieses möglichst gut autonom zu erzeugen. Dabei greift der KI-Assistent auf Wissen des Unternehmens zurück und nutzt darüber hinaus Werkzeuge (z.B. Web Browsing, API-Schnittstellen) zu internen und externen Systemen, um Ergebnisse zu generieren. Gleichzeitig werden ethische oder erwünschte Verhaltensweisen sowie weitere Aspekte im sogenannten System-Prompt definiert.

Veränderung der Interaktionsweise mit Maschinen:

Es findet eine Verschiebung von einer “imperativen” zu einer “deklarativen” Interaktionsweise mit Maschinen statt. Das bedeutet, dass Menschen nicht mehr genau wissen müssen, wie eine Aufgabe ausgeführt wird (imperativ), sondern nur noch was sie wollen (deklarativ). Die Maschine übernimmt dann die Ausführung. Dies verändert grundlegend, wie Wissen und Fähigkeiten in Arbeitsprozessen künftig genutzt werden.


Revolution der Erstellung wissensintensiver Dienstleistungen

Aber nicht nur die Kreativität kann KI unterstützen, sondern in Felder wie der Datenanalyse. Experimente des Henderson Institute, aber auch anderer Einrichtungen deuten darauf hin, dass GenAI nun Personen befähigt, umfassendere statistische Analysen auszuführen als früher, da GenAI Methoden wie Regressionsanalyse, Hypothesentests, Visualisierungen und Mustererkennung anwenden kann, ohne dass der Mitarbeiter wissen muss, wie diese zu programmieren sind (z. B. in Software wie R, Python).

Ein Business-Analyst kann dank eines Data-Analytics-Assistenten künftig eigenständig komplexere Datenanalysen durchführen, die früher einen Data-Scientist oder Programmierkenntnisse erforderten. Diese Entwicklung ermöglicht es einer einzelnen Person nun, Aufgaben schneller und selbstständiger zu erledigen, da diese durch persönliche KI-Assistenten unterstützt wird. Auch Frau Prof. Dr. Frauke Kreuter (LMU München, Professor of Statistics and Data Science in Social Sciences) sagte im Rahmen der Veranstaltung „ChatGPT in teaching and research“, dass Sozialwissenschaftler sich zukünftig mehr auf ihr Fachgebiet als auf das Erlernen von statistischen Analysen mittels R oder Python konzentrieren können.

Auch Berufe wie Softwareentwickler, Projektmanager, Finanzberater, Marketingmanager und Researcher können profitieren. Ihre digitalen Assistenten übernehmen Teile der imperativen Aufgaben, sodass sich die Mitarbeiter auf höherwertige Tätigkeiten konzentrieren können, beispielsweise die Beurteilung, Modifikation und Auswahl von Vorschlägen. Somit stehen Mitarbeitern nun mehr Optionen in kürzerer Zeit zur Verfügung, wodurch sich Prozesse deutlich beschleunigen lassen und Kreativität und Innovationsgeschwindigkeit weiter zunehmen. Zudem ist die Nutzung dieser Assistenten gänzlich einfach, da mittels Text oder natürlicher Sprache, die gewünschten Ergebnisse und Zustände beschrieben und Teilergebnisse manipuliert werden können. Insbesondere dieser Aspekt ist für die schnelle Adaptionsrate von ChatGPT seit November 2022 verantwortlich.

Erweiterung der kreativen Möglichkeiten:

KI-Assistenten sind in der Lage, mehr Optionen zu generieren und diese schneller zu iterieren als Menschen. Dies ermöglicht es, kreative Prozesse zu beschleunigen und Innovationen zu fördern, indem Maschinen Menschen in der Generierung und Auswahl von Ideen unterstützen. Ein Beispiel dafür ist das generative Design, bei dem Maschinen Design-Optionen innerhalb vorgegebener Parameter erzeugen, die dann von Menschen ausgewählt und verfeinert werden.

The middle gets wiped out

Die Implikationen, die sich daraus für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Leistungserstellung von Dienstleistungsunternehmen ergeben, sind teils existenziell! Studien zeigen, dass zwei Gruppen von KI besonders profitieren: Neulinge oder Berufseinsteiger oder besonders erfahrene Mitarbeiter mit hoher Expertise in einem (Nischen-)Bereich oder mit einer Spezialisierung. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Mitte geraten jedoch stark unter Druck.

Imperative Tätigkeiten, die sie früher ausgeführt haben (z. B. Datenbereinigung, Research-Zusammenfassungen, UX-Design, Programmierung, Konzepterstellung), können künftig durch weniger erfahrene Mitarbeiter (im Bereich der imperativen Arbeit) übernommen werden, da diese mit den KI-Assistenten deklarativ zusammenarbeiten und augmentiert sind. Spannend ist in diesem Zusammenhang, dass unerfahrene Mitarbeiter durch KI-Assistenten an ihrer Seite eine steilere Lernkurve aufweisen.

Die imperativen Arbeiten und Arbeitsschritte müssen die wenig erfahren Personen nicht mehr zwangsläufig beherrschen, denn das übernimmt die KI. Auf der anderen Seite führt die nahezu unbegrenzte Produktion von Arbeitsergebnissen (z. B. unstrukturierte Daten, wie Bilder, Code, Texte, Videos, Analyse etc.) dazu, dass zur Auswahl und Beurteilung hohe Fachkenntnisse erforderlich sind; beispielsweise um Fehler durch die KI zu erkennen, aber auch um nicht nur durchschnittliche Ergebnisse durch die KI zu erhalten, sondern die Ergebnisse der KI durch die persönliche Note und Expertise zu verbessern. Somit lassen sich außergewöhnlich gute Ergebnisse für Kunden erzielen.

Fachwissen bleibt unerlässlich, um die von KI generierten Ergebnisse zu prüfen und validieren. KI ist nicht frei von Fehlern oder sogenannten „Halluzinationen“. Daher benötigen Unternehmen weiterhin qualifizierte Mitarbeiter, die die Arbeitsergebnisse bewerten und korrigieren können, aber auch nicht blind darauf vertrauen. Allerdings verschiebt sich die Aufgabenverteilung stark: weg von transaktionalen imperativen Tätigkeiten hin zu deklarativen Arbeiten, hohem Fachwissen sowie der Fähigkeit, soziale Interaktionen und Netzwerke aufzubauen.

Die Transformation der wissensintensiven Dienstleistungen

Die digitale Transformation der Wissensarbeit hat gerade erst begonnen. Durch KI wird nun eine Transformation in Gang gesetzt, die (Dienstleistungs-)Unternehmen, unsere moderne Dienstleistungsgesellschaft und ganze Branchen in weniger als einer Dekade revolutionieren wird – mit vielen Chancen (vgl. z. B. demografischer Wandel, schwaches Produktivitätswachstum), aber auch mit erheblichen Risiken (vgl. z. B. Technologieabhängigkeit von den USA, limitierte Aufstiegschancen).

Transformation bedeutet, dass alle Aspekte in einem Unternehmen von Veränderungen betroffen sind. Und genau dies ist der Fall: von der Kundenerwartung, über die Mitarbeiterentwicklung, die Rekrutierung, das Change-Management, die Prozesse zur Leistungserstellung bis hin zum Management der Technologien im Hinblick auf Leistungsfähigkeit und Sicherheit, denn es findet jetzt die Technologisierung der Dienstleistungserstellung statt. Und hier ganz besonders gilt es den Blick auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu richten, denn deren Arbeitsweise sowie die Anforderungen an deren Fähigkeiten wandeln sich signifikant und diesen Change gilt es gemeinsam zu gestalten.

Die KI-Revolution jetzt aktiv gestalten und für das Jahr 2025 die Weichen stellen.

Dienstleistungsunternehmen benötigen eine klare Vision und eine klare KI-Strategie, um auf diese massive Veränderung zielgerichtet reagieren zu können. KI muss daher Teil der Unternehmensstrategie werden, um die Digitalisierung der Wissensarbeit erfolgreich umsetzen zu können. Vielfach wird in Gesprächen mit Dienstleistungsunternehmen deutlich, dass schnell eine Lösung und Use Cases gefunden werden sollen. Das ist nachvollziehbar und richtig, um Quick Wins zu erzielen, aber dennoch ist die Transformation der Wissensarbeit kein Sprint, sondern ein Marathon, bei dem es darauf ankommt, mit kluger Taktik diesen erfolgreich zu gestalten. In der strategischen Planung im dritten und vierten Quartal 2024 müssen daher für das Jahr 2025 die Weichen gestellt werden, um ein AI Augmented Dienstleistungsunternehmen zu werden.

Bleiben Sie auf dem Laufenden!

Melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an.